© Christian Jungwirth

„In Zeiten von Corona ist alles anders“ - ein Text von Autorin Katja Jungwirth

Lesen Sie hier einen berührenden Text der Autorin, Journalistin und pflegenden Angehörigen Katja Jungwirth, die darüber schreibt, wie herausfordernd es ist, die Mutter plötzlich in „Fremdbetreuung“ zu geben.

 

„In Zeiten von Corona ist alles anders“

Frau Julia hat eine große geblümte Reisetasche mit, die sie im kleinen Vorzimmer abstellt. Mutters Wohnung wird nun für zwei Wochen ihr zuhause sein. Wir begrüßen uns scheu, Händeschütteln in Corona-Zeiten nicht erlaubt, lächeln schon. Aber meine Mutter lächelt nicht. Sie glaubt nicht, dass sie Hilfe benötigt und vor allem möchte sie nicht, dass eine Fremde bei ihr einzieht.

Wir haben uns die Entscheidung nicht leicht gemacht. Seit über fünf Jahren betreuen wir Mutter alleine, in erster Linie, ich, als Tochter mit meinem Bruder als Unterstützung. Da ist nicht nur die tägliche Verpflegung, Versorgung die zu organisieren ist. Es sind vor allem die scheinbar nebensächlichen Dinge, die mich so belasten. Die Verantwortung und die Angst alles richtig zu machen schwebt über allem. Dabei bin ich eigentlich nicht so ängstlich, weder was Verantwortung noch Zupacken betrifft. Ich habe vier Kinder großgezogen, scheinbar mühelos durch Krankheiten, kleinere Unfälle, Schulen, durch Kummer und Teenager-Liebesleid manövriert.

Aber bei Mutter, da ist alles anders. Ich bin ungewohnt ängstlich und zaghaft.

Nach einem ungeplanten Krankenhaus Aufenthalt ist alles anders. Das allgemeine Besuchsverbot im Spital trifft uns schwer. Der psychische Zustand meiner Mutter verschlechtert sich dadurch. Sie darf nach Hause, aber nur wenn wir eine 24 Stunden Hilfe organisieren. Und das in Corona Zeiten, wo die Zeitungen voll von Berichten über geschlossene Grenzen und abwesenden Pflegerinnern sind. Wir holen sie nach Hause und wechseln uns mit der Betreuung ab. Aber es ist kaum alleine zu schaffen. Mein Bruder ist am Limit; ich bin es zwar gewohnt rund um die Uhr verfügbar zu sein aber die Situation macht mir auch sehr zu schaffen. Mutter nimmt es ungerührt hin. Ja,sie genießt es, jeden von uns um sich zu haben und oft nur mit einem Fingerschnippen Wünsche erfüllt zu bekommen.

Über eine Agentur, die sehr hilfreich war, kam besagte Frau Julia mit der geblümten Reisetasche. In der ersten Nacht wieder zuhause habe ich unbeschreibliche Ängste. Ich fühle mich wie eine Mutter die ihr Kleines Fremden überlassen musste. Wird sie es gut machen? Wird sie Mutter gut versorgen und auch verstehen in ihren Eigenarten? Aber so habe ich es mir ja immer vorgestellt: Mutter ist betreut und ich komme nur zu Besuch mit Kuchen zum Kaffee.

In Zeiten des Corona ist alles anders.

Zur Versorgung darf ich zu meiner Mutter gehen; wenn sie fremdbetreut ist habe ich zu ihrem Schutz quasi Besuchsverbot. Ich fühle mich ausgeschlossen. Plötzlich abgeschnitten, herausgerissen aus dem Leben meiner Mutter. Sie versteht die Situation nicht ganz. Versteht nicht, warum nun niemand kommen darf. Abgeschieden in der Wohnung sind diese Gebote und Verbote auch schwer nachzuvollziehen.

Und, fast typisch für meine Mutter, nimmt sie es ganz persönlich: „Jetzt hast eine Ruh von mir, bist auch froh, oder…?“

 

Die Caritas Servicestelle Pflegende Angehörige veranstaltet am 10. September 2020 anlässlich des 2. Nationalen Tag der Pflegenden Angehörigen eine Lesung mit der Autorin Katja Jungwirth aus ihrem Buch „Meine Mutter, das Alter und ich“ im Haus der Frau Linz. Mehr dazu hier