Mit dem Pensionsantritt begann für Ingeborg Reiter ein ganz neues Kapitel. Die heute 83-jährige Mutter, Großmutter und Urgroßmutter zog 2006 ins Betreubare Wohnen der Caritas in Pregarten. Seither ist sie nicht nur Teil einer herzlichen Hausgemeinschaft – sie hat dort auch ihre Leidenschaft für das Schreiben von Mundartgedichten entdeckt.
Mit 65 Jahren übersiedelte die dreifache Mutter und Großmutter Ingeborg Reiter ins Betreubare Wohnen der Caritas in Pregarten. Hier hat sie eine barrierefreie Mietwohnung, kann vollkommen selbständig leben, aber bei Bedarf auf organisatorische Unterstützung durch die Caritas-Mitarbeiterin Barbara Hintersteiner zurückgreifen. „Ich kümmere mich als Hauskoordinatorin um die organisatorischen und sozialen Belange der Mieter*innen“, erzählt Barbara Hintersteiner, die seit 2007 im Betreubaren Wohnen tätig ist. „Nach Dienstschluss habe ich immer das schöne Gefühl, etwas Sinnvolles und Wertvolles für jeden einzelnen Menschen getan zu haben. Besonders schön finde ich die Gestaltung der Feste und Unternehmungen im Jahreskreis. Zum Beispiel freuen sich die Bewohner*innen in Pregarten jedes Jahr aufs Neue auf das gemeinsame Fastensuppenessen zu Ostern. Wer mag schneidet das Gemüse, eine Bewohnerin holt Blumen vom Garten, andere helfen beim Servieren oder decken den Tisch... jeder und jede nach seinen Möglichkeiten und Fähigkeiten. Besonders schön ist es, anschließend gemeinsam beim Tisch zu sitzen und sich auszutauschen. Denn viele sind den ganzen Tag alleine, und bei so einer Veranstaltung kommen alle zusammen und erleben Gemeinschaft.“ Viele Feste und Feiern werden dabei mit passenden Gedichten von der heute 83 jährigen Ingeborg Reiter noch gemütlicher.
Glückliche Kindheit am Land
Ingeborg Reiter ist im Dezember 1941 in Braunau geboren. Im Alter von sechs Jahren übersiedelte sie mit ihrer Familie nach Selker auf den Bauernhof ihrer bereits sehr alten Tante. Sie erinnert sich an eine sehr glückliche Kindheit, wo sie auch die alltägliche Arbeit auf einem Hof kennenlernte. Nach der Handelsschule war sie bis zur Heirat als Schreibkraft tätig. Als die drei Kinder größer waren, arbeitete sie als Produktionsmitarbeiterin in einer Fabrik.
Liebe zu Mundartgedichten entdeckt
Nach der Übersiedelung ins Betreubare Wohnen hatte Ingeborg Reiter mehr Zeit für sich und ihre Hobbies. Da begann sie mit dem Schreiben von wunderbaren Mundartgedichten. Seit 2018 ist sie Mitglied im Stelzhammerbund. 2019 veröffentlichte sie ihr erstes Büchlein „S’Gredad auf der Gred“. Im März 2025 stellt die heute 6-fache Urgroßmutter bei einer Lesung in der öffentlichen Bibliothek Pregraten ihr zweites Büchlein „Wia da wö“ vor. „Es war eine außergewöhnliche und schöne Abendveranstaltung“, erzählt Barbara Hintersteiner. „Viele Bewohner*innen begleiteten ‚ihre Inge‘ zur Lesung, um die Gedichte zu hören und die musikalische Begleitung zu genießen.“
Der kernige Mühlviertler Dialekt hat es Ingeborg Reiter besonders angetan. Sie sammelt nicht nur alte Wörter und Sprüche, um sie für die Nachwelt zu bewahren, sondern erzählt in dieser Sprache wahre Begebenheiten aus dem Dorfleben der Nachkriegszeit. Auch ihre Lebenserfahrung spiegelt sich in manchen Texten, in denen sie einen humorvollen Blick auf Verrücktheiten der heutigen Gesellschaft wirft.
Neben der Beschreibung der bäuerlichen Arbeit, pflegt sie auch die Überlieferung alter Dialektwörter, um sie vor dem Vergessen zu bewahren. Der heute beinahe verschwundenen Welt des Bauernhoflebens setzt sie in ihren Gedichten ein Denkmal.
Hier einige Auszüge aus Ingeborg Reiters Gedichtbüchern „Wia da wö: Gedichte aus dem Mühlviertel“ (BoD, 2025) und „S’Gredad auf der Gred: Gedichte und Texte“ (BoD, 2019):
Aus: „Wia da wö: Gedichte aus dem Mühlviertel“ (BoD, 2025)
Vorsatz
Mei Vorsatz ist, da arbeit i nu dran
(es geht net ums Raucha, Tringa und a koan Mann).
I wü a dickane Haut nu kriagn unbedingt.
Ob ma des in mein Leben nu gelingt?
Aus: „S’Gredad auf der Gred: Gedichte und Texte“ (BoD, 2019):
Frieden
Vü mehr wert als Guat und Geld,
des is da Fried’n auf da Welt.
Wann ma netta hat Hass und Neid,
des bringt do in an Lebm koa Freid.
Es ist do vü a scheanas G’füh‘,
Wann ma wem andern helf’n wü.
In Fried’n mitananda leben,
was kunnt’s auf da Welt denn Schenas gebm.
Aus: „Wia da wö: Gedichte aus dem Mühlviertel“ (BoD, 2025)
A kloana Kräuterkunde
A Hildegard von Bingen wird i nia werdn,
aba a bissl was kriegt’s von mir jetzt z’hern.
Brunnkress, Saurampfer, Löwenzahn etc. unter Erdäpfelsalat gmischt,
wird im Fruahjahr zan Entschlackn gern auftischt.
Bekannt is da Weißdort, guat für’s Herz,
Beinwellschmier hilft gegn Gliederschmerz.
Vor aner jedn Hollerstaudn ziag den Huat,
de Bliah und de Beern davon sand für vü Sachan guat.
Wann de schnelle Kathi is auf Bsuach,
schnell de trickerten Hoabeer virasuach.
Pfefferminztee trink, wann die de Gall’tuat tratzn,
Schöllkraut soll helfn gegn die Warzn.
Wann dir da Hals tuat scheißli weh,
dann gurgelst mit’n Salbeitee.
Schafgarbn und Frauenmantel sand guat gegen Frauenleiden,
Maiglöckerl sollst aber liaba meiden.
Bärlauch is da bedeutend gsünder.
Bei Husten machst a Zwüfischmier für deine Kinder.
Huflattich, Pitzwegera und Eibisch soll da a guat sei‘.
Da Wermut renkt dir den Magen wieder ei‘.
Mit Birkensaft eireibn soll gegen Glatzn wirkn,
heilsam sand a de Blätter va de Birkn.
Goldrute und Zinnkraut nimm, wann die Blasn spinnt,
Lindnbliahtee trink, wann die Nasn rinnt.
Brennessl sand zu Unrecht so vaschriagn,
de kinnan dem Körper des Wasser entziagn.
Sellerie soll steigern die Potenz,
wannst gnuag isst, erlebst nu amoi an Lenz.
An etla Kräutln tat i scho nu kenna,
mecht aba nur mehr de vüseitige Ringlbulme und Kamilln nu nenna.
Arnikaschnaps desinfiziert de frischn Wundn,
nur gegn Dummheit hat nu neamd a Kräutl gfundn.
Bevor ihr mir jetzt wollt’s des Mäu vastopfn,
Nehmt’s glei zur Beruhigung Baldriantropfn.
Aus: „S’Gredad auf der Gred: Gedichte und Texte“ (BoD, 2019):
Mei Paradies
Es is a schener Tag im Mai,
des Wetta kunnt net bessa sei.
Es geht ma guat, tuat ma nix weh,
de Blumen rund herum bliahn sche.
Da Fliederduft in mei Nas’n dringt,
am Bam a Ams’l recht sche singt.
Lass ma’s bei Kaffee und Kuchen recht guat geh.
Da deng i ma, is s’Leben net sche?
I fühl mi wia im Paradies,
wer woaß, wia’s dort amoi dann is!
Aus: „Wia da wö: Gedichte aus dem Mühlviertel“ (BoD, 2025)
Welt im Wandel
Wann i a net vü auf das Welt umanand kemma bi‘,
mit’n Finger auf da Landkart’n find i überall hi‘.
Bin scho vor langer Zeit gebor’n,
vü is seitdem scho anders word’n.
A Teil meiner Kindheit nu ohne Strom war,
des wa heit gar nimmer vorstöbar.
De Zeit ohne Handy, Kühlschrank, Waschmachin‘,
de kimmt ma da grad wieder in‘ Sinn.
Da Alltag tat ohne des gar nimmer geh,
trotzdem war mei Kindheit damals a sche.
Do ändert si d’Welt am laufend’n Band,
was jetzt ois gibt, is allerhand.
Von der künstlichen Intelligenz kriagt ma oiwei mehr z’hern.
I glaub, dass i des aba nimmermehr lern.
Aba drüba kannst di in der Zeitung informier’n.
Do tuast ja a scho was für dei Hirn.
Jetzt kinnans sogar scho an Chip in dei Hirn ei’bau,
Da werd’n dann d’Leit sicher nu mehr schlau.
Aba des kimmt für mi do nimmer in Frag.
I genieß a ohne Chip grad nu an jed’n Tag.
Aus: „Wia da wö: Gedichte aus dem Mühlviertel“ (BoD, 2025)
Glückliche Kindheit
Stö da vor, mei Hirn macht jetzt an Sprung
Und i bin auf oamoi wieder jung.
S’Leben damals ganz bescheiden war,
aba es ist besser wordn va Jahr zu Jahr.
Ma hat’s ja net anders kennt
Und hat si net in Illusionen varennt.
D’Leit warn dort froh, dass da Kriag war vorbei
Und haben si über d Arbat g’stürzt dann glei.
I hab trotz Bescheidenheit a guate Kindheit vabracht
Und de Schulaufgabn nu a zeitlang ba da Ölfuns’n g’macht.
Wia i s’erste Mal hab kriagt an Orang’n in d’Hand
Hab i mi g’fühlt wia im Schlaraff’nland.
Ma kann si’s gar nimmer vorstell’n heit,
wia mi si damals nu üba Kloanigkeitn hat g’freit.
Aus: „Wia da wö: Gedichte aus dem Mühlviertel“ (BoD, 2025)
Trotzdem
Kimmt ma a wenig rogli scho‘ daher,
ma siacht scho‘ schlecht,
na(ch)lasst scho’ s‘G’her.
De Sturzgefahr wird oiwei gressa,
und d’Hirnarabat wird a net bessa.
Es zwickt oft dort und reißt oan da,
ois lasst halt scho a wengerl na‘.
Des sollt uns net krawutisch macha,
es gibt a oissa alte nu was zan Lacha.
Genieß ma jed’n Tag so guat als geht,
a wann oan’s wasser bis zan Hals oft steht.
Trotzdem leb’n ma oiwei nu gern,
was anders kriagt’s va mia net z’hern.
Aus: „Wia da wö: Gedichte aus dem Mühlviertel“ (BoD, 2025)
Vom Altwerdn
Ob’s uns jetzt recht is oder gfallt,
mia werdn allsand sche langsam alt.
Des is des G’rechte auf das Welt,
dass da all’ Leut‘ genauso geht.
I scham mi net, bild ma a nix ei‘,
a so wia’s is, so soll’s halt sei‘.
Vasuach aus all’n des Beste z’macha
Und jeden Tag mindestens oamoi herzli‘ lacha.
Wie’s Jammern hilft uns a net weida,
da is da s’Lacha zehnmal gscheida.
Es gibt do so vü schene Sachen,
de a uns Alt’n nu glückli‘ machan:
Vü Zeit mit liabe Leit vabringa,
a schene Musi hern und singa,
a nett’s Gespräch tuat jeden guat,
ma fasst dann wieder neich’n Muat.
Ma derf a ruich oft kindisch sei‘,
dann kann oan’s Leben erscht richti‘ gfrei‘.
Es sand meistens de kloan Sachan,
de oahman de größte Freid oft machan.
Siacht ma des Glasl halbert voll,
is halb so schlimm, fühlst die ganz wohl.
Ma muaß de Augn offen halt’n,
dann is s’Leben sche, a für uns Alt’n!
Aus: „Wia da wö: Gedichte aus dem Mühlviertel“ (BoD, 2025)
I bin weg
Oiwei öfta kimmt ma via
Woll’n meine Gehinrzell’n weg va mia.
Scho wieda fallt ma was net ei‘,
des kau’do jetzt ja nimma sei‘!
Da kunnt i mi scho oft z’Tod haben,
was bin i denn für blede Wabn!
I tat ja eh ganz vü dagegen,
dass de grau’n Zell’n net wegga meg’n.
Mach oft Sudoko für mei Hirn,
i hoff‘, es hülft a s’Tarockiern.
Tua Kreuzworträtseln und vü les’n,
aba es hülft ois nix, is ois oa Wes’n.
I tua gern singa, geh unter d’Leit,
nimm ma zan Rummycupspü’n nu Zeit.
I tat a gern a wenig nu schreib’n,
wann a paar Zell’n nu überbleib’n.
Do wann si oiwei mehr vazupf’n,
kund i vor zorn im Kroas oft hupf’n.
I wü mi jetzt weida net beklag’n.
Was wollt i jetzt eigentli‘ nu sag’n?
Aus: „Wia da wö: Gedichte aus dem Mühlviertel“ (BoD, 2025)
Lebensreis
Wo komm ich her? Wo geh ich hin?
Was ist des Lebens wahrer Sinn?
Was mach ich falsch? Was mach ich richtig?
Was ist umsonst und was ist wichtig?
Wird bei der Geburt schon mein Schicksal bestimmt,
oder bin ich es, der die Richtung einnimmt?
Das Leben besteht aus vielerlei Fragen,
und niemand kann uns mit Sicherheit die Antwort sagen.
Sicher ist nur: Jedes Leben hat eine begrenzte Zeit
Und ist begleitet von Freude u n d Leid.
Sicher ist auch: Alle Güter auf Erden
Können nicht ins Jenseits mitgenommen werden.
Darum glaube ich: das Wichtigste auf dieser Welt
Das ist die LIEBE und nicht das Geld!
Aus: „S’Gredad auf der Gred: Gedichte und Texte“ (BoD, 2019):
Muattatag
Es geht net nur um den Muattatag,
a Groß- und Urgroßmüatta, gar koa Frag.
Als Kind habm mia gern g’macht da Muatta a Freid,
heit gfrei ma si, wann si unere Kinder für uns nehman Zeit.
Nix is für uns heit mehr so wichti
Wia geschenkte Zeit, de gfreid uns richti.
Za de Kinder kemman jetzt scho de Enkerl und Urenkerl dazua,
Freid machan uns de alle gnua.
Die Einschränkungen im Alter soll’n uns net vadriaß’n,
dafia wolln ma de gschenkte Zeit miatanand geniaß’n.
Mia wolln nix mehr nehma, dafia vü mehr geb’n.
Danke für de Zeit und mia wünsch’n a schens Lebm.
Aus: „S’Gredad auf der Gred: Gedichte und Texte“ (BoD, 2019):